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Volkstrauertag (15. 11. 2015)

 

Rede der Bürgermeisterin Annett Jura zum „Volkstrauertag" am 15.11.2015, Perleberg, Waldfriedhof

 

Am Volkstrauertag gedenken wir der Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker. Wir gedenken insbesondere auch der im 1. und 2. Weltkrieg gestorbenen Soldatinnen und Soldaten.

 

Das Gedenken sollte daher dort stattfinden, wo wir den Opfern an einem solchen Tag besonders nahe sind. Dies ist unseres Erachtens nur an einer Grabstätte möglich. Daher haben Herr Döring und ich uns dafür entschieden, Kranzniederlegungen an Grabstätten vorzunehmen.

 

Wie Sie wissen, gibt es in Perleberg und den Ortsteilen mehrere Kriegsgräberstätten und Denkmale, die für Gedenktage von Bedeutung sind.

 

Da sich das Ende des 2. Weltkrieges in diesem Jahr zum 70. Mal jährt. Haben wir für die diesjährige Gedenkveranstaltung Kriegsgräberstätten von Opfern des 2. Weltkrieges ausgewählt.

Auf dem Waldfriedhof gibt es insgesamt fünf Kriegsgräberstätten.

Vier von ihnen erinnern an Opfer des 2. Weltkrieges, eine wurde zu Ehren von Opfern des 1. Weltkrieges errichtet.

 

Auf Grund der Vielzahl von Kriegsgräberstätten halte ich es für sinnvoll, auch zukünftig jährlich einen Schwerpunkt setzen. So wird es möglich sein, alle Gedenkstätten im Rahmen unserer Perleberger Gedenkkultur einzubinden.

 

Wir werden unsere Kranzniederlegungen heute hier an den 66 Soldatengräbern und am Massengrab der 120 unbekannten Opfer des 2. Weltkrieges, vornehmen.

 

An den anderen 3 Kriegsgräberstätten auf dem Waldfriedhof sowie auf dem Grahlplatz wurden die Kränze heute Morgen durch den beauftragten Floristen niedergelegt.

 

Erstmals in diesem Jahr erhält auch die Kriegsgräberstätte mit dem Gedenkstein „Zum Gedenken an die hier ruhenden polnischen und sowjetischen Opfer des 2. Weltkrieges" einen Kranz.

 

Für jeden von uns, gibt es sicher eine Gedenkstätte mit besonderer Bedeutung. Alle sind daher herzlich eingeladen, im Anschluss auch die übrigen Gedenkstätten zu besuchen. Rede der Bürgermeisterin

 

Einstimmung mit Gedicht

Mein toter Sohn von Peter Stehr

Du gehst in meinem eignen Schritt

Auf allen meinen Wegen mit.

Und dennoch – komm ich dann nach Haus

Dein Kommen bleibt doch immer aus.

 

In meinem Auge unverhofft,

spür ich dein junges Schauen oft.

Und dennoch – durch den bunten Flor,

trittst du nie sichtbar mir hervor.

 

Mein Herz schläft manchmal einen Takt,

als sei’s von deinem Puls gepackt.

Um dann verlassener als je

nach dir zu klopfen voller Weh.

 

Dein ist mein Schlaf, mein Wachen dein;

Einsam bin ich mit dir allein.

Und was ich sinne, unbewusst,

erfüllt es mich aus deiner Brust.

 

Was ist denn Tod, wenn stärker lebt,

der Mensch, der sich von hinnen hebt.

Macht ohne Grenzen, tief ‘res Sein

Beschattet nur durch uns ’re Pein.

 

Gedenkrede

Mit diesem Gedicht möchte ich heute unsere Erinnerung ganz besonders auf die Kinder lenken. Wir wollen heute im Besonderen der verlorenen Kinder gedenken.

 

Auch jeder der hier ruhenden Soldaten ist ein verlorenes Kind.

Ein Kind das nie mehr heimkehren wird, so wie der tote Sohn im Gedicht von Peter Stehr. Der Vater beschreibt mit rührenden Worten, wie sehr der Verlust des eigenen Kindes schmerzt. Sollte es nicht eigentlich anders herum sein? Die Kinder betrauern den Verlust ihrer Eltern.

 

Der Krieg fragt nicht nach dem Alter. Rassenwahn hat im 2. Weltkrieg dazu geführt, dass auch tausende Kinder in Konzentrations- oder Arbeitslagern den Tod fanden.

 

Viele von Ihnen kennen vermutlich die Ballade „Kinderschuhe aus Lublin". Wenn der Dichter Johannes R. Becher heute auch unter Literaturkritikern zum als umstrittene Persönlichkeit angesehen wird, so ist die Ballade „Kinderschuhe aus Lublin" meines Erachtens ein Werk, welches unpolitisch und vor allem aus der Sicht eines Überlebenden die in Konzentrationslagern begangenen Grausamkeiten beschreibt.

 

Der im polnischen Konzentrationslager Majdanek einem Stadtteil von Lublin, bei Kriegsende vorgefundene Berg von Kinderschuhen war Anlass für die Ballade Bechers.

 

Jedem, der die Ballade einmal gelesen oder gehört hat, bleibt sie im Gedächtnis.

 

Von all den Zeugen, die geladen,

vergess‘ ich auch die Zeugen nicht,

als sie in Reih‘n den Saal betraten,

erhob sich schweigend das Gericht.

 

So beginnt die Ballade. Und weiter darin:

Und es war eine deutsche Tante,

die uns im Lager von Lublin

empfing und „Engelspüppchen" nannte,

um uns die Schuhe auszuzieh ‘n,

und als wir fingen an zu weinen,

da sprach die Tante: "Sollt mal sehn,

gleich wird die Sonne prächtig scheinen,

und drum dürft ihr jetzt barfuß geh ‘n

 

und einige Strophen weiter:

Zu hundert, nackt in deiner Zelle,

ein letzter Kinderschrei erstickt….

Dann wurden von der Sammelstelle

Die Schuhchen in das Reich geschickt.

Es schien sich das Geschäft zu lohnen,

das Todeslager von Lublin.

Gefangenenzüge, Prozessionen.

Und – eine deutsche Sonne schien…

 

Ich finde, der Text berührt in unsagbarer Art und Weise. Stille, tiefe Trauer, aber auch Wut und Zorn machen sich breit. Zugleich ist man gefesselt von den Bildern, welche die Worte hervorbringen.

Für mich ist der Berg von Kinderschuhen, Symbol für abertausende verlo-rene Kinderseelen.

 

Kinder, die nicht einfach Kind sein durften.

Kinder, die ihre Geschwister niemals kennenlernten.

Kinder, die niemals erwachsen werden durften.

Kinder, die keine Chance auf ein erfülltes Leben bekamen.

Kinder, die viel zu früh von dieser Erde gehen mussten.

 

So etwas darf sich in unserer Geschichte nicht wiederholen. Es ist unsere Pflicht angesichts des neu erwachenden Rassismus in Deutschland, wachsam zu sein und rechtem Gedankengut entgegen zu treten. Gedenkveranstaltungen, wie der Volkstrauertag, sollen uns immer neu erinnern und mahnen.

 

Auch außerhalb der Konzentrationslager forderte der Krieg seine Opfer. Ein Opfer ist Helene Schutzius. Sie wurde nur 31 Tage alt.

Von Helene gibt es kein Bild, nur die Erinnerung. Im Gedenken an sie hat die Stadt Perleberg in diesem Jahr ein Erinnerungsblättchen herausgegeben.

 

Ihr Bruder, Robert Schutzius, kann die Geschichte erzählen. Er lebte zusammen mit seinen Eltern in Mathildendorf, damals Bessarabien und heute Moldawien.

 

„… Im Oktober 1940 wurden wir aus unserem Dorf von deutschen Soldaten in ein Lager gebracht. Dort waren wir mit 32 Personen in einem Raum 15 Monate lang eingepfercht. Im zweiten Lager war es nicht viel besser. Danach kam die Ansiedlung auf ehemalige Höfe in Westpreußen, südlich von Danzig. Die polnischen Besitzer wurden abgeholt und weggebracht. Wohin?

 

Der Hof, auf den wir kamen, war runtergewirtschaftet und verkommen. Meine Eltern haben Tag und Nacht geschuftet, drei Jahre lang. Dann verloen wir unsere zweite Heimat:

Am 19. Januar 1945 ging die Flucht los – mit Pferd und Wagen bei minus 23 °C und viel Schnee. Wir hatten Glück, denn unser Vater war bei uns. Die meisten Männer waren an der Front.

 

Unterwegs, am 10. Februar 1945, hat meine Mutter in einer Scheune ein Kind geboren. Es war ein Mädchen – blond und mit blauen Augen. Ihr Vorname war Helene. Das kleine Lenchen hat die Flucht nicht überlebt. Es starb am 12. März 1945 auf dem Wagen.

Abends kamen wir in Perleberg an. Von weitem sah man schon den Kirchturm. Mein Vater nahm mein kleines Schwesterchen und ging in Richtung Kirche, und ich ging mit.

 

Vor dem Pfarramt sollte ich mit dem toten Lenchen im Arm auf meinen Vater warten, den Pastor holen wollte, um ihn um die Beerdigung zu bitten. Doch der Pfarrer entgegnete: „Guter Mann, wie soll das Kind beerdigt werden, der Boden ist ja noch tief gefroren." So legte mein Vater das kleine Lenchen zu den anderen Toten in die Kirche. Für mich brach da eine Welt zusammen.

 

Der Rückweg war tränenreich, auch Vater weinte. Als wir zum Wagen zurückkamen, merkte ich, dass auch Mutter weinte. Aber unser Treck musste weiter…."

 

Helene Schutzius hat hier auf dem Perleberger Waldfriedhof ihre letzte Ruhestätte gefunden. In einem Massengrab direkt hinter dieser Gedenkstätte. Nicht hunderte, sondern tausende Kinder starben im 2. Weltkrieg. Allein zwischen Januar 1945 bis Dezember desselben Jahres wurden in Perle-berg 155 Kinder bestattet. 

 

Auch heute noch werden Kinder Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Ich bin selbst Mutter zweier Kinder und sehr glücklich darüber, diese friedvoll und glücklich aufwachsen zu sehen.

 

Aber vielen Kindern unserer Erde ist dies nicht vergönnt. Die Kinder haben sich nicht ausgesucht, wo Sie das Licht der Welt erblicken. Sie sind die Schwächsten in unserer Welt. Sie müssen von uns Erwachsenen beschützt und behütet auf den Weg gebracht werden. Das sind wir Ihnen schuldig! Das ist unsere Verantwortung!

 

Diese Verantwortung haben wir nicht nur im Kreise unserer eigenen Familie. Wir müssen diese Verantwortung auch in unserer Gesellschaft wahrnehmen:

im Alltag,

bei der Arbeit,

in unserer Freizeit.

Kinder sind unsere Zukunft!

 

Darum ist jeder von uns gefragt.

 

Eine der großen aktuellen Herausforderungen ist die Bewältigung des Flüchtlingszustroms in Europa.

 

Millionen von Menschen, Frauen, Männer und Kinder, sind auf der Flucht vor Krieg und Gewalt. Sogar minderjährige Alleinreisende sind unterwegs. Wohin genau, das wissen viele von ihnen noch nicht. Einige kommen zu uns, in die Prignitz, nach Perleberg.

 

Nach der letzten Prognose muss der Landkreis Prignitz in diesem Jahr insgesamt 1300 Asylsuchende aufnehmen. Perleberg steht in einer besonderen Verantwortung. Diese haben wir in den letzten Wochen und Monaten auch wahrgenommen. In enger Kooperation mit unserer kommunalen Wohnungsgesellschaft haben wir in Perleberg bisher alle Asylsuchenden in Wohnungen unterbringen können. Die Unterbringung der Flüchtlinge ist aber nur eine Aufgabe. Hierfür ist der Landkreis zuständig. Die Flüchtlinge willkommen zu heißen, sie zu integrieren, ist eine lokale Aufgabe.

 

Die Verwaltung kann hier nur Hilfestellung geben. Wir sind auf die Unterstützung von sozialen Trägern und auf Unterstützung aus der Bevölkerung angewiesen.

 

Unserer Ministerpräsident, Dr. Dietmar Woidke, hat es meines Erachtens bei seinem Besuch in Perleberg in der vergangenen Woche sehr treffend formuliert: „Eine herzliche Umarmung kann der Staat nicht leisten. Das können nur die Bürgerinnen und Bürger."

 

Ich bin sehr dankbar dafür, dass neben den sozialen Trägern, bereits viele ehrenamtlich helfen. Besonders erwähnen möchte ich an dieser Stelle

das Perleberger Bündnis für Familie

das Frauenforum,

das Mehrgenerationenhaus

die Arbeitsgruppe Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage des Gottfried-Arnold-Gymnasiums und

den in Gründung befindlichen Bürgerinitiative „Perleberg hilft"

 

Jedes noch so kleine Projekt ist ein wichtiger Baustein zur Integration unserer neuen Mitbürger. Nur, wenn wir alle zusammenstehen und die Dinge gemeinsam anpacken, wird es gelingen, diese große Herausforderung zu meistern.

 

Die aktuelle Situation zeigt, Krieg, Not, Verfolgung und Flucht verlangen auch heute von uns Hilfe und vor allem Nächstenliebe.

Mit unserem Handeln können wir dafür einstehen, dass Frieden und Versöhnung unter den Völkern einkehren.

 

Aufgrund der dramatischen Ereignisse von Freitagabend schließen wir in unser heutiges Gedenken auch die Opfer der Terroranschläge von Paris mit ein. In Gedanken sind wir bei den betroffenen Familien.

Lassen Sie uns den heutigen Gedenktag dazu nutzen, um mit Hoffnung und Zuversicht der Opfer zu gedenken.

 

Lassen Sie uns inne halten, um durch die Stille die Stimmen der Toten zu erfahren.

 

Im Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt,

im Gedenken an die Opfer von Paris,

im Gedenken an die verlorenen Kinder

und für den Wunsch der Menschen

auf Versöhnung, Frieden, Hoffnung und Zuversicht

legen wir, im Rahmen einer Schweigeminute, den Gedenkkranz nieder.

 


Ein Dankeschön an Herrn Dieter Zaplo für die Begleitung und das zur Verfügung stellen der Bilder.

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